Dinge sind nicht immer die, die sie zu sein scheinen. „Blond“, dieser Film hat mich gefesselt. Unfassbar, was Andrew Dominik geschaffen hat und wie tief er sich in die psychische Problematik Marylin Monroes einfinden konnte. Wie intensiv, feinfühlig und mitreißend Ana de Armas Marylin verkörpert.
Das Zusammenspiel von Musik und Geräuschen, Schnitt und Kameraführung, mal s/w, mal in Farbe und das situative Überzeichnen, entfachen Gänsehaut. Wenn ich diesen Film anschaue, kann ich sie fühlen. Ich werde zu ihr. Und tatsächlich kann ich mich in ihr wiederfinden. Wie trauriger Weise viel Frauen.
Ihrer sehr harten Kindheit bedingt, konnte sich Marylin, oder besser Norma-Jean, in schauspielerisch hochtrabenden Rollen einfühlen, was allerdings in Hollywood gar nicht gern gesehen wurde. Man wollte sie ausschließlich in Rollen sehen, wo sie einen dümmlichen und sexy Vamp spielte. Andrew Dominik zeigt in dieser und vielen weiteren Szenen, sehr plakativ, dass sie nicht verstanden wurde. Dass sich niemand die Mühe bereitete sie zu verstehen. Die Welt sah ausschließlich ein Objekt. Für mein Empfinden, ist Andrew Dominik und eben auch Ana de Armas, genau dies gelungen. Ihm glückte der Spagat zwischen dem Darstellen ihrer starken psychischen Probleme und dem hässlichen Umgang der Männer und der Filmindustrie und spannte eine Brücke zu ihrem hohen schauspielerischen Talent und ihrem feinen und intellektuellen Geist.
In einer weiteren Szene wird sie in der Küche der Familie ihres ersten Mannes gezeigt. Aufgrund ihrer Historie, mit einem Aufenthalt von über zwei Jahren im Kinderheim, dem Durchreichen in ihrer Familie und den vielen sexuellen Übergriffen an ihr, ist sie unsicher und kann auch nicht kochen. Doch sie versucht höflich zu sein, um „dazuzugehören“. Dies gelingt ihr aufgrund ihres ungeschickten Auftritts überhaupt nicht. Hilflos versucht sie alles richtig zu machen, doch bringt sie sich selbst dadurch in eine fast tollpatschige Situation. Sie steht der Situation und der fremden Menschen wegen extrem unter Stress, alles rauscht nur noch und sie wirkt geradezu schwachsinnig. Ich kenne solche Situationen nur zu gut.
Auch die Tatsache, dass sie nicht weiß, wie hoch ihre sexuelle Ausstrahlung ist, empfinde ich als enorm gut dargestellt. Frauen mit diesem Hintergrund, Frauen, die in ihrer Kindheit schon viel zu früh sexuelle Erfahrungen mit Männern haben machen müssen, wissen dies tatsächlich oft nicht. Auch dies kenne ich aus meiner eigenen Historie. Norma-Jean arbeitet zwar schon früh als Pin-up-Model, doch ist sie sich ihrer sexuellen Ausstrahlung keineswegs bewusst. Erst ihre beiden Liebhabern zeigen ihr, dass sie schön ist. Und auch dies genügt nicht, um dies zu verinnerlichen. Solche Frauen folgen dem, was ihnen entgegengebracht wird, fühlen dies aber nicht. Sie sind abgeschnitten von sich selbst. Sie könne sich selbst nicht einschätzen, sie haben ein komplett verzerrtes Bild ihrer selbst.
Extrem erklärend empfinde ich auch den Satz, den Marylin über sich selbst sagt: „Norma-Jean ist nur ein Gefäß.“ Wenn man so groß geworden ist, nach Liebe sucht und gefallen möchte, weil die Sehnsucht nach Liebe kaum noch zu ertragen ist, hört man auf sich zu spüren. Dann wird man zu einem Gefäß der Gefühle anderer, um wie sie zu sein, um wie sie zu fühlen, um dadurch geliebt zu werden. Für mein Empfinden ein brillanter, hoch sensibler und tiefgründiger Film und Meisterwerk.
Blond – es lebe die Frau. Viva la Vulva!